kleiner Berg Thorsten Schirmer - Der Weg des Malens
Ostasiatische Fingermalerei im Geiste des Zen - Buddhismus

 

 

 

 

 

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Zenmalerei
Zenmalerei von Yujian, China - 13. Jhd. - Bergdorf im sich lichtenden Nebel - Idemitsu Museum Tokio

Die Malerei Ostasiens ist in den wesentlichen Teilen ein Kind Chinas. Seit der ersten Jahrtausendwende unserer Zeitrechnung finden wir auch einige bemerkenswerte Beiträge auf dem Boden des japanischen Inselreiches, allerdings in weitgehender Abhängigkeit von den Entwicklungen des benachbarten Festlandes. Korea kommt hier, wie in den meisten anderen Fällen des Kulturaustausches zwischen China und Japan, die eher unscheinbare Rolle eines Transitlandes zu. Zwar haben sich auch aus Korea einige hochklassige Werke erhalten, diese spielen jedoch in der Entwicklungsgeschichte der ostasiatischen Malerei keine prägende Rolle. So konzentrieren sich die kunsthistorischen Betrachtungen zu diesem Thema in der Regel ausschließlich auf die Entwicklungen in China und den Widerhall, den sie auf den japanischen Inseln fanden. Vor allem zwei Bewegungen innerhalb der komplexen Geisteswelt Chinas standen für ein auf innere Vervollkommnung gerichtetes Schaffen: der philosophische Daoismus und die buddhistische Schule des Chan (im Westen vor allem unter seinem japanischen Namen "Zen" bekannt. Malerei im traditionellen Verständnis des fernen Ostens bedeutet in erster Linie das Malen mit schwarzer Tusche auf Papier oder Seide. So einfach diese Aussage klingt, so komplex sind die Gründe, die zu dieser einzigartigen Dominanz schlichtester Darstellungsmittel geführt haben. Die freie Malerei emanzipierte sich von der handwerklichen Darstellung erst durch den Einfluß der Kalligraphie. Der durch die komplexe Form chinesischer Schriftzeichen geübte Pinsel war der gleiche, der auch die Konturen des zu malenden Objektes beschrieb. Im Primat der Linie, dem für die weitere Entwicklung der Tuschmalerei eine Schlüsselrolle zukommt, erkennen wir deutlich den Einfluß der Schriftkunst auf die Malerei. Mit den sechs Prinzipien des Xieh Ho formulierte ein Kritiker um die Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert die Regeln einer idealen Malerei, die bis in die Neuzeit Gültigkeit besitzen sollten. Die Prinzipien lauten:
  1. lebendige Atmosphäre und Ausdruck der Lebensenergie
  2. strukturbildender Pinselduktus
  3. korrekte Darstellung
  4. rechte Farbgebung
  5. Komposition
  6. Nachschöpfen und Kopieren
Die Prinzipien eins und sechs verdienen eine besondere Erwähnung, handelt es sich hierbei doch um die wesentlichsten Forderungen. An dem ersten Prinzip scheitert jeder Übersetzungsversuch. Es kann nur mit einer vagen Umschreibung ausgedrückt werden, da ihm keine äquivalenten Begriffe in den Sprachen der westlichen Welt gegenüber stehen. Der Ausdruck des Qi (chin. für Lebensenergie) steht quasi zwischen den Zeilen und wird von jedem gebildeten Chinesen mit einer lebendigen Darstellung verknüpft. Hier haben wir das Schlüsselprinzip zum Verständnis der chinesischen Malweise vor uns, dessen Bedeutung und Einfluß in den folgenden Ausführungen aufgezeigt wird. Das sechste Prinzip ist gleichfalls ein typisch chinesisches Ideal. Durch Nachschöpfen bzw. Kopieren eines Vorbildes soll sich dem Maler nicht nur Technik und Komposition eines Meisterwerkes erschließen, er kann sich nach Überzeugung der Chinesen auf diese Weise auch intuitiv mit dem Geist des verehrten Meisters in Einklang versetzen. Es ist nicht nur das reine Nachahmen, was hier gefordert wird. Vielmehr kommt dem schöpferischen Dialog mit den Vorbildern vergangener Zeiten ein sehr hoher Stellenwert zu. Dies liegt zweifellos an der gesellschaftlichen Grundordnung Chinas. Die Individualität stand und steht immer hinter der Gemeinschaft zurück. Man suchte stets nach einem gemeinsamen, allgemein anerkannten Vorbild, um sich an ihm zu entwickeln und zu messen.

Große Teile der traditionellen Malthemen vom Daoismus geprägt, allen voran das Landschaftsthema. Berg und Wasser als Stellvertreter für die Urprinzipien Yang und Yin sind das daoistische Motiv schlechthin. Dao (chin. Weg) ist ein Universalprinzip, das sich besonders gut in einem Makrokosmos wie der Gebirgswelt andeuten läßt. Der Maler formt Symbollandschaften, in denen Berg und Wasser zu einer harmonischen Einheit verschmolzen werden. Dabei kann Wasser auch als Wolken oder Nebel im Bild präsent sein. Ein Gleichgewicht der Kräfte ergibt sich vor allem aus einer inneren Sicht, die nicht in rationale Formeln zu gießen ist. Ein Bild kann von Bergen oder auch vom Wasser dominiert sein und dennoch mit klug gesetzten Akzenten des gegensätzlichen Elements zu künstlerischer Balance finden. Das Prinzip von Yin und Yang findet sich auch in anderen Standardthemen wieder und durchzieht die Kompositionslehre der traditionellen Malerei Ostasiens wie ein roter Faden. Man baut das Gesamtmotiv aus einzelnen Gruppen nach den Gegensätzen von Groß und Klein, Fern und Nah, Hoch und Niedrig, Kräftig und Zart oder Bewegt und Unbewegt auf. Die Reihe ließe sich noch weiter fortsetzen, erläutert aber bereits, wie intensiv das bildnerische Gesamtkonzept der Tuschmalerei von daoistischen Einflüssen geprägt ist. Die frühe Angewohnheit der chinesischen Malerei, Darstellungen vor einem unbemalten Hintergrund abzubilden, wurde unter daoistischen Einflüssen zu einer harmonischen Verbindung von Form und Leere kultiviert. Die Leere als Wesenskern aller Dinge gehört zu den Grundanschauungen des Daoismus. In der Malerei wird sie daher immer als Symbolträger verstanden. Die Einheit von Form und Leere darzustellen, ist demnach ein ganz aus daoistischer Tradition erwachsenes Phänomen der Maltradition Ostasiens, auch wenn es später in besonders starkem Maße mit der chan-buddhistischen Malerei in Verbindung gebracht wird. Ein weiterer, wesentlicher Einfluß spiegelt sich in zahlreichen Gleichnissen bei Zhuangzi wieder. Dort läßt der zweite große Philosoph des Daoismus Handwerker und Künstler über ihr Werk sprechen. Die Kernaussage liegt in der völligen Hingabe an das Schaffen, welche zu Leistungen befähigt, deren der rationale Geist allein nicht mächtig ist. Eine intuitive Verschmelzung von Schöpfer und Werk findet unter einer selbstentäußerten Wahrnehmung in tiefster Konzentration statt, was für das Prinzip des Wuwei hinter der gelungenen Ausführung spricht. Dabei soll alles Streben nach Zielen und Ergebnissen aufgegeben werden, um aus der Einheit mit dem Dao heraus wirken zu können. Zhuangzi erzählt dies anschaulich am Beispiel eines Koches, der sein Beil so geschickt der Anatomie seiner Schlachtochsen anpaßt, daß er sein Beil über viele Jahre hinweg weder austauschen noch schärfen muß. Oder wir hören von dem Schnitzmeister, der einen himmlischen Glockenspiel-Ständer schuf, in dem er allen Ruhm und Verdienst vergaß, bevor er ans Werk ging. Überall in seinen Geschichten spricht er über die rechte Haltung, die dem Prinzip des Wuwei zugrunde liegt. Das erreichen von Wuwei im Denken und Handeln gilt als das höchste Ideal im Daoismus wie auch auf dem Weg des Malens. Wenn wir die rationalen Kräfte zurück nehmen, erwacht in uns eine Fähigkeit, den Augenblick des Handels ganz frei von willentlicher Beeinflussung zu erfahren. Der Geist entleert sich aller Vorstellungen und Wünsche, so daß er in der Lage ist, ein Ergebnis zu erreichen, ohne dies willentlich anzustreben. Dies hat nichts mit einem passiven "Gelebtwerden" zu tun. Vielmehr erfordert die Geisteshaltung des Wuwei einen wachen, aktiven Geist, der in der Lage ist, sich aus eigener Kraft der jeweiligen Situation anzupassen, auf die er sich einläßt. Für die Malerei bedeutet dies, die Tusche frei fließen zu lassen und den Duktus der natürlichen Bewegung von Hand und Arm anzupassen. Überall dort, wo eine freie Malweise sich den zahllosen Konventionen überlieferter Techniken und Darstellungsweisen entzieht, spricht dies für das daoistische Prinzip in der Malerei. Größtmögliche Freiheit der Ausführung muß sich jedoch mit meisterhafter Beherrschung aller künstlerischen Ausdrucksmittel paaren, um ein wirkliches Meisterwerk entstehen zu lassen. Die Chinesen sprechen gern von Eingebung, wenn es um die Erklärung einer solch meisterhaften Ausführung im Geiste des Wuwei geht. Von jenen Eingebungen haben sich in den frühen Aufzeichnungen der Malerei einige Anekdoten erhalten, die - unabhängig ihres historischen Wahrheitsgehaltes - deutlich von Inspirationen einer "höheren Ordnung" sprechen. Das abstrakte Prinzip Tian, das schon in vor-daoistischer Zeit Gegenstand der Verehrung und Anbetung war, wird dabei gerne als vage Umschreibung jener eingebenden Kraft genannt. Die tiefere Bedeutung einer solchen "Eingebungslehre" weist wieder auf das Wuwei-Prinzip zurück. Wer sich frei von seinem "kleinen Ich" dem alles Sein umfassenden Augenblick öffnet, dessen schöpferische Tätigkeit äußert das "große Ich" des vom Dao erfüllten Geistes. Neben diesen Einflüssen ist schließlich das Prinzip des Daos als Lebens-Weg von größter Bedeutung. Der Maler befindet sich auf seinem Weg, in dem er die Übung als lebenslange Begleitung zur Selbstentwicklung nutzt. Gleichzeitig steht Dao aber auch noch für die gesamte Lebenshaltung an sich, die Denken, Fühlen und Handeln des Künstlers einschließt.

Neben dem Daoismus ist der Chan-Buddhismus ein bedeutsames Fundament für die Malerei Ostasiens. Der chinesische Name "Chan-Buddhismus" leitet sich als verkürzte phonetische Wiedergabe von dem Sanskritwort "Dhyana" (wörtlich: Versenkung) ab. Dhyana beschreibt im Buddhismus ein Mittel zum Erreichen der Buddhaschaft, in dem sich der Mensch in geistiger Versenkung übt. Als Zustand, in dem der historische Buddha Gautama Siddhartha (etwa 560-480 v. Chr.) seine höchste Erkenntnis erreichte, kommt Dhyana nach Überzeugung der Chan-Schule eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur geistigen Befreiung (sanskr. Nirvana - wörtl. Erlöschung) zu. Der Weg zur Überwindung des Leidens wurde von ihm als "Mittlerer Pfad" beschrieben. Durch Jahre asketischer Übungen wurde ihm bewußt, daß ihn Selbstleugnung nicht an sein Ziel bringen konnte. Als "Mittleren Pfad" wählte er sich die Übung von Dhyana, um seinem Ziel näher zu kommen. Schließlich gelang ihm in tiefer Kontemplation der Durchbruch zur geistigen Befreiung. Der Chan-Buddhismus bezieht sich direkt auf die Art und Weise, wie der historische Buddha seine eigene geistige Befreiung erreichte. Daß sie letztendlich eine unmittelbar plötzliche Erkenntnis wie eine Art Erwachen war, wird im Chan zu besonderer Bedeutung erhoben. Erst aus dieser Erkenntnis heraus sei es möglich, die übrigen Pfade ganzheitlich zu meistern und somit Buddhaschaft zu erlangen. Nichts weniger als diese Erkenntnis wurde zum Ziel aller Bemühungen im Chan erklärt. Was der Buddha erkannte und wie er sein Ziel erreichte, sollte das Streben eines Buddhisten prägen. Treu den unkonventionellen Ideen dieser Schule folgend, verschrieb sich die darstellende Kunst des Chan dem Ideal äußerster Sparsamkeit in den Mitteln der Darstellung. Verzicht auf Farbe, Reduktion der Form auf wenige, aussagekräftige Pinselstriche und Auflösung der Motive in der allumfassenden Leere des weißen Malgrunds sind die äußeren Kennzeichen der Chan-Malerei. Die inneren Prinzipien dieser Kunst verpflichten sich der Einheit von Form und Leere. Neu für den Motivkreis der chinesischen Malerei waren die Idealportraits (ideal im Sinne einer nicht bekannten Physiognomie) des 1. Patriarchen des Chan Bodhidharma und anderer Figuren der Chan-Legende, die keineswegs im Stil der bekannten Sakralmalerei dargestellt wurden. Vielmehr überraschen diese Bilder mit einem fast respektlosen, humorvollen Unterton. Die Portraits des ersten Patriarchen, wie auch andere Darstellungen großer Meister, zeigen die Figuren meist fern jeder Verklärung mit einfachen Strichzeichnungen, die zum Teil an der Grenze zur Karikatur stehen. Insgesamt übte der Chan-Buddhismus einen großen Einfluss auf die Geisteshaltung und Stilbildung der Malerei Ostasiens aus und ist auch heute eine wichtige Inspitationsquelle im Schaffen zahlloser Künstler in Ost und West.

Quelle: Schirmer, Thorsten: Der Weg des Malens. Betrachtungen über die Malerei Ostasiens. Hannover, 2007

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